Reisende kann man nicht aufhalten

Am 10. August ist es soweit. Wir machen uns wieder auf die Reise. Nach einer Woche erreichen wir unser erstes Ziel: das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.

Das Quer-Durchs-Land-Ticket der DB bringt uns über Kassel, Halle und Leipzig nach Dresden.

Ostalgie am Leipziger Bahnhof

Ohne Fahrrad-Reservierung, die im Sommer kurzfristig nicht zu bekommen sind, muss man Regionalzüge nehmen. Diese sind in der Hochsaison, bei Schönwetter und dem Deutschlandticket natürlich sehr begehrt und voll bis übervoll. Wir haben Glück und verpassen nur einmal den Anschluss und kommen mit einer Stunde in Dresden an.

Der Campingplatz in Dresden ist voll und so wird es wieder nichts mit einer Besichtigung dieser schönen deutschen Stadt. Einzig ein Blick auf die Brühlschen Terrassen vom Zug aus ist uns vergönnt. Eigentlich hätten wir die Neustadt besuchen sollen, so Horst, der mehrere Jahre in Dresden gewohnt hat.
Naja, nichts von alledem. Wir radeln Elbe-aufwärts nach Wostra, wo wir unser Lager auf einer hübschen Zeltwiese aufschlagen. Hier ist es multikulti – Franzosen, Holländer, Spanier, Tschechen und natürlich Deutsche zelten und campen hier. Am nächsten Morgen geht es durch die sächsische Schweiz entlang der Elbe, über Pirna, Rathen nach Bad Schandau. So, wie vor Jahren mit unseren Jungs. Das Wetter ist perfekt. Alle haben gute Laune.

Elbfähre, kostet schlappe 3€ pro Fahrrad inkl. Fahrer
Rathen

Dann der erste Grenzübertritt nach Tschechien. Die böhmische Schweiz ist der Knaller. Es geht auf und ab. Letztes Jahr hat es hier ordentlich gebrannt. Wir fahren wie durch ein grosses Museumsdorf. Die Häuser sind alle bewohnt. Aber es gibt auch viel Fläche ohne Menschen.

Potraviny heissen die kleinen Lebensmittelläden in Tschechien

Die Route führt uns wieder zurück nach Deutschland. Zittau ist unser heutiges Ziel, doch unvermittelt passieren wir einen nicht eingetragenen Bauernhofcamping. Eigentlich zu einsam und Einkaufsmöglichkeiten gibt es auch nicht. Wir haben schon gestern von unseren Resten von zu Hause gelebt, sodass wir auf jeden Fall was brauchen. Trotzdem entscheiden wir nach einigen hundert Metern umzukehren und uns den Bauernhof anzuschauen. Was sich uns eröffnet, nachdem wir in die Hofeinfahrt einbiegen, ist ein aktiver Bauernhof mit etlichen Milchkühen und vielen Kälbchen. Weiter hinten liegt ein liebevoll angelegter Campingplatz mit Untersitzmöglichkeit, Aufenthaltsraum, Slagline, Tischtennisplatte usw. Auch der Hofladen mit hofeigenen, mindestens jedoch lokalen Produkten, ist klasse. Wer hatte das im letzten Zipfel von Deutschland erwartet.

Bauernhofcamping bei Familie Sell

Nach gutem Frühstück sind wir, wie die letzten vier Jahre auch, gegen kurz vor 10 wieder auf der Gass.

Gen Osten geht es nun erst nach Polen, dann in die Tschechei und wieder nach Polen. Drei Tage, drei Länder, drei Sprachen, drei Währungen. Der heutige Tag ist nicht so spektakulär wie gestern. Durch’s sanfte wellige und beschauliche Polen fährt es sich gut.

Die Post

Der Fotostopp wird zu einer längeren Pause, da ein Mountainbiker unseren Weg kreuzt. Damian ist der erste polnische Reiseradler, den wir treffen, gerade lediglich auf einer Spritztour, aber dieses Jahr schon von Polen nach Valencia geradelt. Über viele weitere Strecken können wir mit ihm plaudern und er lädt uns zu sich ein. Sein Zuhause ist in Ostpolen. Hier ist er gerade bei seinem Bruder zu Besuch. Wir nächtigen stattdessen in Bolkow.

Bolkow – hier ist der Hund verfroren.
Frühstück im Kirchpark eines ebenso verschlafenen Dörfchens. Mit einer alten Dame, die deutsch noch von ihrem Vater gelernt hat, plaudern wir ein bisschen.

Wroclaw, früher Breslau, eine sehenswerte Stadt mit 660.000 Einwohnern, Hauptstadt Oberschlesiens, steuern wir an. Auf einem wirklich netten Campingplatz mit Hostel nahe dem Flughafen campieren wir. Mit dem Bus kann man für wenige Zlotys regelmässig in die Stadt fahren.

Kirchenschiff der Kathedrale Switeij Marii Magdaleny – eine von über 100 Kirchen in Wroclaw
Einer der 600 Bronze-Zwerge von Wroclaw

Die Wroclawer Zwerge sind eine Touristenattraktion. Wenn man möchte, kann man sie alle suchen. Die Figuren sind 30cm gross. In den 1980er Jahren hatte die Oppositionsbewegung mit spontanen Aktionen (z.B. Demo im Zwergenkostüm aufgerufen) um Kritik am kommunistischen Regime in Polen geübent und einen gusseisernen Zwerg (Papa Zwerg) in der Breslauer Altstadt aufgestellt.

Wroclaw an der Oder
Universität

Von Tag zu Tag wird es heisser. Gestartet sind wir in Dresden bei 25 Grad. Die Temperaturen liegen jetzt über 30 Grad und wir schütten jede Mange Flüssigkeit in uns rein, die unten aber nicht ankommt. Es geht durch Schlesien auf den Spuren deutscher Geschichte, jetzt weiter nach Opole (ehemals Oppeln), Richtung Katowice und weiter nach Auschwitz. Um nicht zu sehr zu braten, suchen wir auf Komoot Routen durch die im August doch schon schattigen Wälder, über Waldwege und Trails. So lässt sich die Hitze besser aushalten.

40 Kilogramm plus das Lebendgewicht hat die Brücke so grad ausgehalten
In Opole übernachten wir mangels geeignetem Campingplatz in einem Hostel. Über Geschmack lässt sich streiten. Der Hauseigentümer besitzt eine Polsterei und hat sich hier ausgetobt. Das Zimmer ist aber prima.

Bei Tarnowitz finden wir mit dem Camp9 ein kleines Paradies in ‚the middle of nowhere‘.

Grosses Eis in Katowice

Abgesehen von den großen Städten Wroclaw und Katowice ist die Strecke bis hierhin recht öd. Keine besonderen Landmarken, alles flach, ordentliche, aber gesichtslose Ortschaften – nichts, was einem das Herz erfreut oder in Erinnerung bleibt. Die Hitze tut ihr übriges.

Ein super langer Güterzug an der Kohlegrube ist schon eines der Highlights

Auschwitz

Für den Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau nächtigen wir, dem Anlass angemessen, auf der Wiese des „interkulturellen und interreligiösem Dialog- und Gebetszentrums“

Besuch und Führung durch das Konzentrations- und Vernichtungslagers hinterlassen einen aufwühlenden, bleibenden Eindruck. Der Besuch sei allen empfohlen, die mal hier in der Ecke vorbeikommen.
Ich dachte immer, ich brauche mich damit nicht näher befassen, deutsche Geschichte. https://www.theauschwitztours.com/de/auschwitz-facts/ Es ist mehr als Geschichte, es ist eines der dunkelsten Kapitel der Menschheit. Wie grausam sind sie gewesen. Ich verachte jede Art von Rassismus, Ausgrenzung von Andersdenkenden, Urteile über Flüchtlinge.‚ (Astrid, die Geschichte langweilig findet.)

Zyclon B Behälter

Nach sieben Tagen und 600 Kilometern ist die Sommerhitze erstmal vorrüber. Unsere Transferetappen hoffentlich auch. Es blitzt und gewittert. Die Abkühlung kommt und wir freuen uns nach Kultur, Gesellschaft und Geschichte auf herrliche Naturerlebnisse und fahren strack nach Süden, Richtung Tatra.

Wie gewohnt, gibt es nächsten Samstag den nächsten Bericht.

7 Kommentare

  1. Danke für den schönen Bericht und top das Astrid so schnell wieder fit ist. Die Geschichte war wahrlich nicht schön und das schlimme ist, dass wir immer noch solche skrupellosen Idioten an der Macht haben. Liebe Grüße aus Weil der Stadt und noch viele schöne Begegenungen und Eindrücke. Peter

  2. Liebe Reisende, vorab etwas in eigener Sache. Dienstag holen wir unsere E-Bikes. Sicher geht ein Schmunzeln durch die Leserschaft, aber besser als nix. Wir freuen uns wie die Plätzchen. Und für euch beide freut es uns auch mega, dass ihr wieder los seid. Nach Polen möchte ich auch sehr gerne, es scheint dort noch ein bisschen verträumter und ruhiger. Heute sitzen wir in Marburgs schöner Altstadt und genießen einen Auflauf im Cafe Barfuß. Noch sind wir kinderfrei. Euch wünschen wir eine tolle, bunte und eindrucksstarke Weiterreise. Fühlt euch feste gedrückt. Eure Oberndorfer

  3. Liebe Astrid, lieber Rolf,
    wie schön, dass Ihr schon wieder unterwegs sein könnt! Ich freue mich mit Euch :-). Und würde selbst so gerne gleich wieder auf’s Rad steigen, wenn ich Eure Beiträge lese und die beeindruckenden Fotos sehe… Weiterhin eine gute Reise und bleibt gesund!
    Herzliche Grüße, Elke

  4. Liebe Astrid, lieber Rolf,
    schön , dass ihr wieder unterwegs seid und wir wieder interessante Reiseberichte bekommen.
    Schade, dass es mit Dresden nicht geklappt hat, eine wirklich interessante Stadt, aber vielleicht kommt ihr irgendwann noch mal dort hin.
    Breslau hat uns auch gut gefallen.

    Liebe Grüße und gute Fahrt weiterhin
    Heidi und Henner

  5. Hey ihr Lieben!
    Vielen lieben Dank für den tollen Bericht- vor allem den Teil zu Auschwitz. Das war sicherlich ein Besuch mit nachhaltiger Wirkung!
    Wir sind jetzt auf dem Rückweg vom Lac – wir haben sehr viel an Euch gedacht und sind natürlich auch den ein oder anderen Pass gefahren oder gelaufen!
    Lasst es euch gut gehen mit vielen schönen beeindruckenden Momenten! Liebe Grüße von Oti und bötzi ????

  6. Hallo Rolf und Astrid,

    Aah. Ihr habt schon zwei neue Einträge. Ich hatte nicht so schnell damit gerechnet.

    Wie schön, dass ihr schon wieder unterwegs sein könnt und das sogar auf unebenen Strecken.

    Von der böhmischen Schweiz habe ich bis gestern noch nie etwas gehört.

    Auschwitz, unglaublich, was Menschen anderen Menschen antun können.
    Und es ist noch immer so.

    Lerneffekt im Großen betrachtet gleich Null.

    Auf eure weiteren Erzählungen und Fotos freue ich mich.

    Liebe Grüße von Petra

  7. Wenn einer mal wieder eine Reise tut…………………………..
    Tscha, wenn ein anderer öfters in den Computer schauen würde…………….
    So bleiben und nur die Danksagungen für Klasse Reiseberichte in bekannt und noch wichtiger unbekannte Gegenden in Europa. In Gedanken reisen wir mit, der Hintern schmerzt zum Glück nicht und für schlechtes Wetter haben wir ein Regen festes Dach über dem Bett. Das Regen feste Dach wünschen wir Euch ür den „Rest“ der Reise und alle kommenden Ziele. Es gibt immer weiße Flecken auf der inneren Landkarte des Lebens.

    Herzliche Grüsse Christel + Fred K.

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