Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erleben

Unsere längste Etappe war 190 Kilometer lang und ging von der Mehmel bis nach Riga. Über die schönste Etappe können wir keine Einigung finden. Unsere bergigste Etappe ging von Gibraltar bis nach Ronda (Spanien) und hatte mit 90 Kilometer mehr als 2200 Höhenmeter.

Wir sind mehr als 16300 Kilometer geradelt, 7 1/2 Monate unterwegs und dabei durch mehr als 20 Länder gefahren. Bis auf Polen können wir uns mit englisch und deutsch, Mimik, Gestik und Herz gut verständigen. Aber wir wünschen uns oft, dass wir die Sprache des Landes sprechen können. So könnten wir miteinander reden und uns nicht nur verständigen.

Pannen und Unfälle gab’s wenig, fünf Platten und zwei Unfälle. Einen vor der Fahrradstadt Utrecht, als wir beide bei gut 20 km/h kollidiert sind und eine Fleischwunde sowie eine Weichteilquetschung davon getragen haben. Einen weiteren Sturz auf regennassem, glatten Radweg in Malaga. Abschürfungen an Hand und Knie. Zum Glück konnten wir jeweils weiterfahren.

Rückblickend sind wir immer mehr sportlich als spazieren gefahren. Mal war es das Wetter, mal der weit entfernte Campingplatz, was uns voran trieb. Mal war es gerade schön zu fahren, mal drohte der Regen. Die Campingplätze schlossen am Ende der Saison – der erste in Schweden Mitte August – oder wir hatten eine Verabredung und wollten zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein. So fuhren und fuhren wir.

Nachdem wir uns durch Deutschland und Österreich durchgearbeitet hatten, sind wir in für uns unbekannte Länder im Südosten und Osten Europas gefahren. Das war sicherlich der spannendste und eindrücklichste Teil der Reise.
Für die baltischen Staaten hätten wir uns mehr Zeit nehmen müssen. Gerade durch wirkten sie trist und menschenleer, aber schöne Campingplätze für Zelter.
Die Fahrt durch Schweden und Dänemark haben wir genossen – Landschaft, Leute, Streckenprofil und Malibu Schokolade (Swiss Nuts). Schade, dass die Sommersaison da oben so kurz ist.
Holland ist mit den tollen Radwegen, Grachten und herrlichen Bauernhof-Campingplätzen ein super Radreise-Land. In Belgien sind wir an herrlichen alten Kanälen und an der „Maas/La Meuse“ entlang geradelt. Sehr schöne Eindrücke, von dem Industriegebiet zwischen Liege und Huy abgesehen.
Die etwas eilige Durchfahrt durch Frankreich haben wir in sehr guter Erinnerung. Entgegen der Prognose haben wir immer super Wege zum Radeln gefunden. Die Franzosen waren uns gegenüber sehr aufgeschlossen und freundlich – hatten wir gar nicht so erwartet.

Und so fuhren und fuhren wir, bis nach Andalusien, das südlichste Ende Europas. Da, wo wir die ersten Überwinterer treffen, werden wir langsamer. Vielleicht ist es der Herbst, vielleicht die kürzeren Tage, vielleicht aber auch, weil uns das nächste Ziel fehlt. Die Städte, die wir anfahren – Valencia, Granada, Sevilla, Ronda, Malaga- sind großartig. Auch die Costa de la Luz – schönste Atlantikküste – und das andalusische Bergland. Einige Landstriche und Ansiedlungen waren aber auch schrecklich deprimierend, die Gegend dürr und karg.

Von ‘Überwintern’ hatten wir eine andere Vorstellung. Überwintern wollen wir nicht. Wir wollen mit dem Rad die Welt entdecken. Überwinterern ist das warme Wetter genug. Sie sitzen in ihren Wohnmobilen und machen es sich vor dem Fernseher gemütlich. Sie warten … auf den nächsten Frühling, denn im südlichen Europa ist auch Winter. Viele Orte und Gegenden fallen in den Winterschlaf. Es kann regnen und stürmen. Nur wenige Campingplätze sind auf. Diese sind selten auf Zelter eingestellt. Die Wohnmobilreisenden sind oft sehr freundlich und hilfsbereit. Es gab aber auch Plätze, da schienen sich alle stieseligen Camper versammelt zu haben – da haben wir uns schnell wieder abgemacht. Wir kampieren im Staub, Erde oder Sand. Auf einem dieser Plätze erreichte uns ein Bild von Schwester-Petra vom Gardasee – da bekommt man Tränen in die Augen, wenn man sieht, wie schön grün die Welt auch sein kann. Sonne ist eben nicht alles.

Malaga

Die letzten Tage vor der Winterpause haben wir in Malaga gechillt.

Nicht viel los im Hafen
Mal ein bisschen Kultur – Picasso Museum
Stierkampfarena mitten in Wohnblocks
Es ist sommerlich warm. Viele Strandbadene. Im Meer mehr Möven als Menschen.
Hier haben wir die Rad-Kartons für die Reise besorgt. Der Sohn des Werkstattleiters hat über Handy den Live Übersetzer gemacht.

Unverzichtbarer Reiseführer ist der ‘Europa per Rad’. Danke, Dani! Wir haben ihn immer genommen, wenn wir in ein neues Land gefahren sind und auch zwischendurch. Für manche Gegenden hatten wir zusätzlich Reiseführer oder Gastgeber, die uns tolle Tipps gegeben haben. Ohne das kann man doch sehenswerte Ecken oder die Tapasbar, die nur die Einheimischen kennen, verpassen.

Unsere Lieblingsbar – Empfehlung von Rebeca, bei der wir in Malaga gewohnt haben
Malaga – La Tranca – fetzige Musik, Tapas – immer volle Hütte. Albondigas und die heimische Aguacate.

Manchmal ist es auch gut, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Die Welt ist nicht überall schön. Wir haben das selten im Bild festgehalten. Es gab auch öde, vermüllte Landschaften, Gegenwind, schlechte Straßen, doofe Campingplätze oder Behausungen.

Angst um unser Hab und Gut haben wir nie gehabt. Wir sind niemals angemacht oder bedroht worden. Es gab keine brenzliche Situtation, keine Kriminalität. Das Vertrauen, das wir den Menschen, die wir kennengelernt haben, entgegengebracht haben, ist nie enttäuscht worden.

Sieben Monate draussen kochen. Nachdem wir in Dubrovnik ein teures, bei weitem nicht sättigendes Abendessen hatten, haben wir auf Restaurantbesuche verzichtet. Jeder Tag startet mit einem ausgiebigen Frühstück und einem Kaffee aus der italienischen Maschine. Jeden Abend gibt es Gekochtes, manchmal auch Gebratenes. Rolf macht alles auf einer Flamme unseres Benzinkochers. Wenn erforderlich werden die beiden Töpfe und die kleine Pfanne hin und her getauscht, bis alles gar ist. Klasse! Es schmeckt und die Portionen haben die Grösse, die wir bei unserem Energieverbrauch benötigen. Im Restaurant werden unter Umständen nur Spatzen satt.

Versorgt haben wir uns in Spanien meist bei Mercadona – eine super Lebensmittelmarkt-Kette. Von der 200g Mandelschokolade haben wir einige Dutzend vertilgt.

Zu zweit zu fahren finden wir klasse. Viele überzeugte Einzelreisende haben wir getroffen. Wir erleben jeden Tag soviel und können uns zu zweit an mehr erinnern als allein. Geht’s mal nicht so gut, gibt es einen, der einen aufmuntern kann. Als Team finden wir bessere Lösungen als allein, bei der Routen-, Menue-, Aktivitäten- und Übernachtungsplanung. Geteilte Freude ist doppelte Freude.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Eine schöne Erfahrung auf unserer Reise ist, dass die Zeit nicht so dahin rast. In den letzten Jahren der Arbeit war alles so durch getaktet und voll mit Verpflichtungen, dass Wochen, Monate und Jahre nur so vorbei rasten. Auf unserer Reise erleben wir so viel, dass einem Tage wie Wochen vorkommen. Der Beginn unserer Reise mit den ersten Ländern und Herausforderungen kommt uns vor, wie vor unendlich langer Zeit geschehen.

Die grosse Freiheit haben wir gespürt. Aber die Bindung an zu Hause ist doch gross. Zum Glück haben wir den Blog, euch, die stillen Leser (‘silent Bob’) und die vielen Kommentierer. Raus aus unserem alten Leben wollten wir nicht und jetzt noch viel weniger. In den letzten Tagen haben wir einige Langzeitradler (drei bis neun Jahre) getroffen und festgestellt, dass es doch sehr unterschiedliche Motive gibt, ein solches Unternehmen durchzuführen. Wir wollen nicht verlottern, unsere Erlebnisse für uns behalten und möglichst billig durch die Lande ziehen. Wir sind neugierig, auf Menschen, Fremdes, Natur und Kultur. Kultur ist ein Posten in unserem Budget, welchen wir nicht so schnell streichen. Wir sind interessiert am Weltgeschehen, auch wenn es manchmal schmerzfreier ist die Augen zu schließen.

Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen…

Wir freuen uns darauf zurückzukommen, nach Hause, zu unseren Jungs, unsere Freunde zu treffen und alte Rituale wieder aufzunehmen. Und … das nächste Projekt auszuhecken.

Es geht in die Winterpause. Tschüss!

7 Kommentare

  1. Hallo ihr Weitreisende. Wahrlich eine Pause hättet Ihr Euch verdient, noch schöner ist es, wenn man diese nehmen kann, wie es einem gefällt. Ich beneide Euch um die Freiheit und möchte trotzdem nicht tauschen. Liebe Grüße Jörg

  2. Hallo Ihr zwei, diesen Beitrag habt Ihr aber wieder sehr schön geschrieben! Also überwintert Ihr doch zuhause… das kann ich gut verstehen und ich würde es genauso machen. Jetzt gibt’s dann endlich wieder selbst gebackenen Kuchen und Mohnbrötchen, und die gedruckte Süddeutsche…(mehr hab ich mir nicht gemerkt ☺️) – die habe ich auch gerade wieder “in der Reiß’n”, wie jedes Wochenende, aber das Lesen Eures Blogs hat die letzten Monate auch zur unterhaltsamen Pflicht-lektüre gehört! Bin gespannt auch Eure weiteren Pläne… aber jetzt ruht Euch erstmal aus und futtert Euch über Weihnachten ein paar Fettreserven an! ?? ?
    Liebe Grüße und eine schöne Adventszeit wünscht Euch
    Doro
    P.S.: Jetzt muss ich auch nicht mehr fragen, wo ich den Jahresrückblick hinschicken soll ?

  3. Ihr Lieben,
    bei der Planung unserer Weihnachtsferien in Andalusien habe ich nach euren Tipps geschaut. Sehr praktisch?.
    Eurer Begründung für eure Heimkehr kann ich gut nachvollziehen. Irgendwo rumsitzen und warten ist unangebracht, wenn daheim liebe Leute und ein warmes Zuhause sind. ?
    Ausruhen, alle wiedersehen, genießen und dann, wenn die Strampellust mit dem Frühling zurückkommt, auf neuen Pfaden wieder fröhlich losziehen. Nachahmenswert. Beneidenswert.
    Ich freue mich sehr darauf, euch bald in Aachen wieder zu sehen.
    Allerherzlichste Grüße
    Eure Buddy???

  4. Liebe Astrid,

    Ich habe leider nur sehr spärlich euren Blog verfolgen können. Was nicht heißt, es hätte mich nicht interessiert, sondern im Gegenteil, es zeigt, wie wenig Zeit ich aktuell für die Dinge habe, die mir Spaß machen…. Umso mehr habe ich es genossen, wieder in euren Blog reinzuschauen. Es ist so schön zu hören, dass ihr euer Leben derart entschleunigen konntet und dabei so viele schöne Erfahrungen gemacht habt! Ich kann meinen Neid und meine Fernweh, wenn ich in euren Blog schaue, kaum in Worte fassen… Bis ich mal die Chance auf eine ähnliche Freiheit habe, werde ich mich an eurem Blog erfreuen ?

    Ich hoffe, es geht euch gut und ihr überwintert zufrieden in Deutschland ?

    Liebe Grüße aus Kassel,
    Silvia

  5. Christel schreibt:

    wäre ich doch noch 20 – 30 Jahre oder so, jünger. Dann, ja dann wäre ich gerne viele der Strecken mit gefahren, vielleicht noch mehr mit dem e-Rad (Tolle Erfindung). Besonders hat mir Euer immer wieder schön gedeckter Tisch imponiert. Aber man muss ja auf jeden Fall ein wenig Gemütlichkeit erzeugen.

    Christel und Fred Schreibt:

    Wir bewundern Euren Mut einfach Euren Träumen zu folgen und aus der Routine des “normalen” Lebens auszubrechen. Das würden viele gerne machen, aber dann kommt die Logik und man schreckt zurück. Ihr habt es einfach gemacht und es war – für Euch – gut so. Wir sind gespannt auf die nächste Reise – die Welt steht offen – und hinterm Horizont geht es weiter.

    Liebe Grüße und auch hier scheint die Sonne .

  6. Liebe Astrid, lieber Rolf!

    habe mich sehr gefreut über die Zusammenfassung eurer Reise. Vor allem auch über die Gedanken dazu. Dabei habe habe ich ganz viele Gemeinsamkeiten entdeckt!

    Vielen Dank, dass ich daran teilhaben durfte und
    ganz herzliche Grüsse
    Monika aus Köln ☀️

    PS
    Alles erdenklich Gute für Euren Neu-Start!

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