Ein Leben auf der Standspur

Den Grenzübertritt von Georgien in die Türkei meistern wir mit Bravour. Gewieft hangeln wir uns an der Autoschlange vorbei bis wir herangewunken werden. Der türkische Grenzer freut sich, dass er sein Schuldeutsch anwenden kann. Zwei Stunden hat er pro Woche. 1200 Kilometer Schwarzmeerküste bis Istanbul liegen vor uns. In Hopa, der ersten grösseren Stadt an der Schwarzmeerküste, kaufen wir eine SIM Karte. In Ardesen findet Park4Night den superschönen Danzi Camping, auf dem wir mal wieder mit dem Personal allein sind. Wir unterhalten uns per Handyübersetzer mit Halit, Achmet und Gemre. Auf dem Platz herrscht Alkoholverbot – in der Stadt gibt’s eh kein Bier zu kaufen.

Morgens steigt Nebel vom Fluss auf. Wir sind früh wach, da wir uns seit gestern in einer anderen Zeitzone befinden. Nur noch eine Stunde von Deutschland entfernt.

Einige Türken, die in Deutschland viele Jahre gearbeitet haben, sprechen uns unterwegs an, als sie deutsche Wörter hören. Ansonsten ist die Verständigung nun die größte Herausforderung. Deutsch geht noch besser als Englisch, zumindest, wenn man einen ehemaligen Gastarbeiter trifft.

Wir beschliessen, auf der Küstenschnellstrasse erstmal Strecke zu machen, bevor wir ins Landesinnere abbiegen. Es gibt fast durchgehend einen breiten Standstreifen, wie für uns gemacht.

Standstreifen für uns und für den öffentlichen (Nah-)Verkehr

Die Strasse führt tatsächlich immer direkt am Wasser entlang und wir sind an der Meerseite und umfahren so oft die zahlreichen Tunnel ohne Standstreifen. Die Berge fallen recht steil ins Meer. Die Städte, die sich zwischen die Schnellsttrasse drängen, sind alle eher funktional mit Hochhäusern als schön. Die Häuser sind aber durchgehend in gutem Zustand.

Auf den ersten 200 Kilometern hinter der Grenze sind die Berghänge bis Trabzon voller Teeplantagen. Es ist gerade Ernte und wir werden von wohlriechenden vollbeladenen Teelastern, die die Ernte in die nächste Teefabrik bringen, überholt.

Teeplantage
Teeentladung in der staatlichen Teefabrik Caykur

Wir passieren mindestens zehn Fabriken der staatlichen Teefirma Caykur, die in jeder Stadt alle gleich aussehen – und auch gut duften.

Suchbild: wer findet die Erzieherin?
Grösste Supermarktkette der Türkei, Schwester des Schweizer Konzerns. Die Dichte an Supermärkten ist unfassbar gross. Die Minimärkte und Kioske gar nicht mit eingerechnet.

Ab Trabzon weichen die Teeplantagen den Haselnussplantagen. Die Haselnüsse sind gerade nicht reif und so ist es auch im Frachthafen von Trabzon recht ruhig. Wir sind in einem guten und schönen Hotel abgestiegen mit Blick auf den Hafen durch unser vollverglastes Zimmer im fünften Stock.

Blick aus unserem Trabzoner Hotel

Trabzon hat 770.000 Einwohner und ist der Hauptumschlagplatz für Haselnüsse, die in alle Welt gehen. Ausserdem gibt es hier den Trabzonspor Fussballclub, der zu den vier größten der Türkei gehört und regelmäßig als Meisterschaftskandidat zählt.

Die Stadt ist voller Menschen. In einem großen Buchladen finden wir eine einzige Karte von der Türkei, 2€, dafür auch beschränkt auf Städte und Hauptstrassen. Lässt die Anzahl der Reiseführer auf die Weltoffenheit der Türkei und ihrer Menschen schliessen?

Trabzon’s Buchladen
Reiseführerangebot u.a. zweimal London, Kappadokien, Japan, Madrid, Paris und vier Karten von der Türkei

In jedem Ort gibt es mindestens eine Moschee mit Minarett. Manchmal auch einen Gebetsraum im Park, gleich bei den Toiletten und mit Fusswaschbecken, das Astrid erstmal zum Geschirrspülen verwendet. ‚Kommt nicht wieder vor.‘
Jetzt läuft die Planung Richtung Kappadokien. Das liegt eine Woche entfernt. Wir sind uns jedoch einig: das Muss.
Unser dritter Tag an der türkischen Schwarzmeerküste. Hier gibt es Tee- und Brotwerbung, selbst an den zahlreichen Fussballstadien.

Ekmek heisst Brot auf türkisch

Ausserdem Werbung für den hiesigen Bürgermeister mit seinem oberstem Chef und die Landesfahne. Was soll man auch sonst bewerben? Der Verzehr von Alkohol inkl. Bier ist an vielen Orten verboten und der Verkauf nur in speziellen Shops, wo der Eintritt ab 18 Jahren erlaubt ist. Autowerbung gibt es nicht und ist auch nicht attraktiv. Auf den Schnellstrassen – Autobahnen wäre zuviel gesagt – dürfen PKWs meistens nur 82km/h fahren, Busse und LKWs 70 km/h.

Frauen sieht man zu 52% mit Kopftuch. In unserem Trabzoner Hotel – und nicht nur dort – darf man nur mit Heiratsurkunde oder Trauschein übernachten und Astrid ist, neben der Bedienung beim Frühstück, die einzige Frau ohne Schleier. Am Morgen geht es weiter Richtung Westen.
Es wird touristischer. Es gibt unzählige kleine Fischerhäfen, auch wenn es nicht nach großem Fang aussieht. Das Meer ähnelt immer mehr dem Atlantik. Die Berge des Pontischen Gebirges fallen nahezu grad ins Wasser, sodass kein Platz für Strände bleibt. Strammer Westwind bläst uns ins Gesicht und nach 130 Kilometer haben wir unser Ziel erreicht. Auf einer Felsennase mit Privatstrand und traumhaftem ‚bretonischen Wind und Wellen‘, mild wie im Frühsommer und trocken. Dazu ein Sonnenuntergang über dem Meer.

Das die Dusche kalt ist und wir nichts zu essen haben, stört uns gerade nicht. Es lassen sich immer ein paar eiserne Vorräte finden und ein wärmer Tee ist auch klasse.

Am nächsten Morgen geht es weiter. Unser Ziel ist ein Vorsprung hinter Ordu. Der Himmel ist blau. Von dem gestrigen Sturm ist nichts mehr zu hören. Also noch immer sehr bretonisch :-). Wir passieren Giresun und Ordu und zahlreiche andere Städte. Alles Universitätsstädte, einige Flughäfen, viele Sportanlagen und nach 2375 Kilometern unserer Reise gibt es die ersten nennenswerten Radwege neben den bis zu 10 spurigen Strassen. Gleich dazu eine Laufbahn, auf der man zweispurig joggen kann und dann noch einen Fussweg, bevor Picknickplätze bis fast ans Wasser reichen. Mittags gibt es Obstmahlzeit am Strand. Zu den fünf Aprikosen und sechs Pflaumen haben wir noch zwei Bananen bekommen.

Schon am frühen Nachmittag erreichen wir unser Ziel, das Gölge Camp in Caka. Ein Traumcampingplatz bei Traumwetter am Traumstrand, der den schönen atlantischen Stränden in nichts nach steht. Wir bekommen eine warme Dusche, ein tolles Essen und sitzen draussen sitzen bis das die Sonne untergeht.

Bodysurfing im Schwarzen Meer, wie in Le Gurp
Strand unseres Campingplatzes
Besitzer vom Gölge Camp in Caka mit seinen Eltern

Weil es so schön ist, gibt es einen Extra-Tag Strandurlaub. Den Blick auf unendlich und die Seele baumeln lassen. Wir stöbern ein wenig in unserem 1400 Seiten starken Michael-Müller-Reiseführer, informieren uns über die Gegend und machen ein wenig Streckenplanung. Das Ergebnis ist Planänderung: Die Wolken hängen sich so häufig am Pontischen Gebirge auf, dass es regnet. Keine Lust auf eine Fahrt durch die nassen Wolken Richtung Kappadokien. Dazu eine nicht einladene Reisebuchbeschreibung des konservativen Zentralanatoliens, durch das wir fahren müssten, um nach Kappadokien zu kommen.
Also fahren wir weiter auf der Standspur Richtung Istanbul!

Die Türkei ist aber auch riesig! Die kleine linke Ecke ist Europa, 3%. Der Rest gehört zu Kleinasien.

2 Kommentare

  1. Hallo ihr Zwei,
    wieder mal ein toller Reisebericht mit schönen Fotos. Vielen Dank dafür, dass wir an eurer Reise teilnehmen können.
    Der Bodysurfer in den Wellen sieht lustig aus.
    Die Erzieherin vom Kindergarten ist auf dem rechten Fenster zu sehen und zeigt ein Herz mit ihren Fingern.
    Liebe Grüße
    Heidi und Henner

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