Die Zeitreise geht weiter

Wir schätzen das Jahr 1949. Denn das ist das Jahr in dem ‚Pipi Langstrumpf‘ in deutscher Sprache erschienen ist. Jeder Euro unserer zahlreichen geführten Mountainbike-Touren über Alpen, im Piemont und über den Atlas ist super investiert. Nur deshalb meistern wir den heutigen Abstieg in die Schlucht des Paravani Flusses, wo wir in Khertvisi unsere nächste Nacht gebucht haben. Auch die Geduld und Konzentration, die wir aufbringen bei der Bewältigung der löchrigen Pisten beruht auf dem Erfahrungsschatz, den wir mit unseren Guides Malte und Gabriel von 2012 bis 2018 gesammelt haben.

Piste wie in Pompeji, nur steil bergab
Der Blick zurück auf die Serpentinen lässt erkennen, wo wir abgestiegen sind
Burg in Khertvisi
Hochwasser bei Khertvisi – wäre eine super Raftingstrecke

In Khertvisi, einem quirligen Ort mit 35 Menschen, Laden, Zwergschule mit 25 Kindern bis zur 9. Klasse, Burg und Georgi & Manana’s Guesthouse, übernachten wir.

Manana und ihr Sohn Georgi. Manana unterrichtet Deutsch an der Zwergschule

Morgens geht es erst auf einen Abstecher durch die bezaubernde Schlucht nach Vardsia, einem Höhlenkloster aus dem 12. Jahrhundert, an dem hundert Jahre gebaut wurde.

Höhlenkloster Vardsia

Durch den Fels steigen wir auf in den Fels geschlagenen Tunnel mit Stufen ab. Beeindruckend! Was die Menschen damals wohl bewogen hat, so etwas zu bauen. Heute sind die ungleichen Stufen und die Enge und Höhe des Tunnels für uns schon eine Herausforderung.

Der Ausflug hat sich gelohnt.

Zurück in Khertvisi geht es entlang des Mtkvari und dem Borjomi Nationalpark, der überwiegend bewaldet ist, Richtung Kutaisi. Hier kommt das ganze tolle Trinkwasser her, was man in Georgien bekommt. Unser heutiger Campingplatz ist eine Pferdekoppel. Im Guesthouse auf der Strasse gegenüber benutzen wir das Badezimmer.

Der Gaul beruhigt uns in der Nacht durch sein Schnauben und Pupsen. Die Natur ist herrlich, die Fahrt an der Schnellstraße stressig und anstrengend. Lastwagen kommen in Schüben. Dann ziehen, wie so oft am Nachmittag, dicke dunkle Wolken auf und es blitzt und donnert. Wir haben die in der Karte gelb eingezeichnete Nebenstraße gewählt. Sehr krass! Eine Piste mit dicken Löchern über 42 Kilometer.

Wir haben zu recht Angst um unser Hab und Gut, vor allem um Computer und Handys, die in den Seitentaschen sitzen und immer wieder in die Löcher knallen. Die Fahrräder halten es hoffentlich aus. Es fängt immer mehr an dicke Tropfen vom Himmel zu regnen. Die Strasse ist eine Baustelle und zudem wird hier von Chinesen eine neue Eisenbahntrasse gebaut. Kein Guesthouse zum Übernachten und es sieht auch nicht nach einem Platz zum Wildzelten aus. Also fahren wir Kilometer um Kilometer weiter. Plötzlich taucht ein Picknickplatz auf. Den nehmen wir. Notzelten statt wildzelten.

Drei Minuten später schüttet es aus Eimern und wir sitzen unter. Wirklich Schwein gehabt! Zwei Stunden später bekommen wir Besuch von zwei Hunden, kurze Zeit später von Lascha, Besitzer der zwei Hunde und der Zeltwiese. Es gibt Chacha (georgischer Grappa) satt, nachdem wir Marihuana und Wein abgelehnt haben. Gaumardsoss! heisst Prost! auf georgisch.

Gut geschlafen, ein leckerer Milchkaffee, selbst gekocht, und wir machen uns auf Richtung Kutaisi. Es wird eine tolle Panoramafahrt, sodass die gestrige Abenteuerfahrt schnell vergessen ist. Am Ende sind wir in drei Tagen, die kompletten 2000 m Höhe abgefahren. Die Fauna hat sich geändert. Es gibt Feigenbäume, Granatapfel- und Litchibäume und sogar Palmen. Ausserdem ist es über 30 Grad warm. ‚Achtung „Feierabend-Verkehr“ Nicht nur auf Schotterpisten wird den Verkehrsteilnehmern höchste Konzentration abverlangt – auf den idyllischen Landstrassen heisst es zu jeder Zeit: Aufgepasst! Denn freilaufende Kühe, Pferde, Schafe, Ziegen, Gänse und Hühner stellen die mit Abstand grösste Zahl der Verkehrsteilnehmer – vor allem abends sind die Tiere auf den Strassen unterwegs, wenn sie zu ihren Besitzern nach Hause laufen!‘ (aus: Stefan Loose-Reiseführer) Heute haben wir sogar zwei Kühe auf dem Friedhof gesehen, die seelenruhig eine Grabstätte abgegrast haben. (Wir ärgern uns jetzt noch, dass wir es nicht mit der Kamera eingefangen haben.) Unzählige Schweine grasen am Wegesrand. Ein Schwein wird durch die Stadt getrieben, wie im Film.

Kutaisi ist mit 142.000 Einwohnern die zweitgrösste Stadt Georgiens. Sie gefällt uns bestens. Die Stadteinfahrt auf einem Radweg, der zweite seit dem Stück in Tbilisi. Auch diese Stadt ist leicht hügelig, sodass es gute Aussichten gibt, unter anderem auf die nördliche Kaukasuskette.

Eine Seilbahn führt über den Rioni auf den obligatorischen Hügel mit Vergnügungspark. Dies scheint tatsächlich sowjetisches Erbe und ist in jeder grösseren Stadt zu sehen. Wir essen im Eldepo, georgische (und) vegetarische Küche und wissen gleich, morgen geht’s da wieder hin.

Am Tag drauf lungern wir den gesamten Vormittag auf dem Markt, wo alles Denkbare verkauft und wieder verkauft wirdo Autos ihren Geist aufgeben. Wo ganze Hausstände mühsam durch die Strasse gezogen werden, lebendige Hasen und Hühner verkauft werden. Und natürlich Koriander überall zu haben ist. Es gibt viel zu gucken, zu schmunzeln und zu lachen.

Von Kutaisi geht es auf der als „Weinroute“ ausgewiesenen Strecke weiter. Viel besser passt „Schweinroute“. Ist das ein Haustierzoo! Soviele freilaufende, glückliche Schweine haben wir unser Lebtag noch nicht gesehen. Sie werden ihrem Namen gerecht, sind faul, suhlen sich im Dreck und sehen mitunter ganz listig aus. Kühe wandern über die Strasse oder legen sich auf den warmen Asphalt. Pferde begleiten uns ein Stück.

120km Fahrt vorbei an der malerischen Martvili Schlucht sehen wir mehr Tiere als Weinreben. Wir haben super Radlwetter und bleiben trocken. Die Häuser sehen alle gleich aus. Sie müssen aus der Sowjetzeit stammen, wo es nur ein Fertighausmodell gab. Sehr gelungen! Jedes, wie eine Villa Kunterbunt, quadratischer Grundriss. Zum ersten Geschoss geht es mit einer Aussentreppe auf eine Veranda.

In Sugdidi, ganz in der Nähe der abchasischen Grenze, haben wir ein Zimmer gebucht, um am nächsten Tag nach Mestia mit dem Bus hochzufahren und auf Wandertour zugehen. Nachdem wir vier Wochen lang jeden Tag Schneebedeckte Berge gesehen haben, hängen die Wolken nun tief. Eine russische Familie, mit der wir uns gut austauschen und beraten, haben gleichen Plan. Sie fahren in die Berge aber wir entscheiden uns für die Fahrt an die Küste, nach Poti. Nach vier Wochen sehen wir das Schwarze Meer und den Hafen.

Was für eine Enttäuschung und wie deprimierend. Das braune Wasser klatscht an das nicht begehbare Ufer, an das wir über Hoppelwege fahren. Die Unterkünfte im Hafengebiet sind herunter gekommene als jede Flüchtlingsunterkunft bei uns oder die wir jemals im Fernsehen gesehen haben, aber voll bewohnt – unglaublich.
Wir fahren zum nahegelegenen Nationalpark, wo man abgeblich beim Besucherzentrum campen kann. Wir haben kein Glück. Es gibt Zelte zu leihen, aber campen kann man nicht. Im angeschlossenen Hotel kann man für 120 Lari übernachten. Soviel haben wir die letzten vier Wochen nirgends bezahlt. Wir hätten doch die Einladung von Chiko annehmen sollen. Er hat uns heute an einer Kreuzung vor Poti abgepasst und zwei eisgekühlte Energiedrinks geschenkt. Anschliessend kam die Einladung in sein Haus zu Fischsuppe und Übernachtung. Er wäre um 6 zu Hause. Die Telefonnummer hat er in den Staub der Windschutzscheibe seines Autos geschrieben. Den Fischfang hatte er im Auto. Er arbeitet in Poti als Fischer.
Das haben wir davon.
Wir schiessen bei Booking.com dreissig Kilometer weiter ein Privatzimmer für 25 Lari (9 €). Super! Hier ist es wie letztes Jahr im Frühjahr an der italienischen Adria. Die Unterkünfte etwas herunter gekommen und die Bewohner lautstark und temperamentvoll. Das Leben spielt sich draussen ab. Wie sitzen auf der Veranda des Hauses und essen Nudeln mit Tomatenfischsosse.

In Kobuleti frühstücken wir an der Strandpromenade und radeln dann 40 Kilometer nach Batumi. Batumi kann man schon von weitem sehen. Kleiner Abzweig zum Botanischen Garten und anschliessend zum Green Cape Tower. Man weiss ja nie, was man verpasst. Ein Haus, das auch Zimmer vermietet. Wir geniessen Kaffee mit frischem, selbstgemachtem Kuchen und Ausblick über die gesamte Bucht nach Batumi.

Und dann … Zeitsprung in Batumi: ‚Miami‘ zwischen Europa und Asien. Wir haben ein Zimmer mit Seeblick und Bergblick gebucht. 100 Meter zum Strand und im 23. Stock mit Balkon.

Mitten in DownTown
… und abends ein Feuerwerk

Die Fahrräder stehen direkt vor unserer Zimmertür und haben auch Bergblick. Jetzt nehmen das Angebot an und machen zwei Tage Ferien und Strandurlaub bei 25 Grad und Sonne-Wolken-Mix.

Ein überraschender und gelungender Abschluss unserer Kaukasusreise.

2 Kommentare

  1. Guten Morgen Rolf und Astrid,

    Was für Schotterpisten und (sehr) schwierige Wege… zu besonderen Orten. Und diese Orte und Wege sind dann oft so idyllisch (Lieblingsmohnblumenfoto) und touristenfrei (Felsenkloster).
    Herrlich!

    (Kein Disneypark wie in Prag, wo die Eltis kürzlich waren. )

    Und was für ein Vergnügen machen mir eure freilaufenden Schweine,Kühe und Pferde! Kommen die Tiere eigentlich auf euch zu oder müsst ihr nur drumrum fahren?

    Hatte das Pferd auf der Koppel einen Zaun oder bewohntet ihr die Koppel gemeinsam?

    Und Miami ist wirklich ein unerwarteter Gegensatz zur Natur Idylle!

    Viel Vergnügen weiterhin bei den erstaunlichen Eindrücken wünscht Petra (diesmal aus Zornheim bei Heidis Geburtstag)

  2. Hallo ihr Beiden. Jetzt muß ich mich endlich auch mal einen Kommentar absetzen. Ich bin stolz auf euch und erzähle Freunden und Wildfremden von euern Erlebnissen. Da weis ich erst, was ich in meinem Leben versäumt habe. Macht weiter so. Ich wünsch euch alles Gute, besonders Gesundheit, damit ihr
    noch viel erlebt. Euer Vater

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