Schwarz-Weiss wie Schnee, das ist die SGE

Es gibt eine Autofähre über den Golf von Izmir. Abfahrt ganz nah von unserer Unterkunft, dann noch 50 Kilometer, bis nach Bosnalti. Beim Einchecken treffen wir Oktay. Er fährt heute das erste mal dieses Jahr mit seinem Riese&Müller Rad zur Arbeit und läutet damit die sechsmonatige Sommersaison ein. Eine Stunde mit dem Fahrrad, 20 Minuten mit der Fähre, und dann nochmals fünfzehn Minuten bis zu seiner Textilfirma. Da wir keine ‚Izmirim Karta‘ haben, hilft er uns mit Tickets aus und wir kommen ins Gespräch. Geboren und aufgewachsen in Frankfurt und seit 24 Jahren in der Türkei, im Herzen Armenier. Zuerst hat er eine deutsch-türkische Textilfirma in Frankfurt und Istanbul gegründet und vor neun Monaten eine Produktionsstätte in Izmir aufgebaut. Er lädt uns zu einer Tasse Kaffee in seinem Büro ein und führt uns durch die Produktion, Schneiderei, Näherei, Schnittmusterabteilung und Marketing. Gerne nehmen wir dafür eine Auszeit und einen Abstecher von unserer Route in Kauf.

Otkay zeigt stolz die neue Kollektion der Eintracht Frankfurt (SGE). Dafür wurden 40.000 nicht verkaufte Eintracht Trikots wieder zu Garn recycled. Nachhaltig.
Otkay’s Textilfirma
Die Frankfurt Galaxies haben Oktay beauftragt. Merchandising Artikel werden für Böhse Onkelz produziert. Andere Auftraggeber wünschen sich weisse Hemden.
Knapp siebzig Mitarbeiter arbeiten in der seit neun Monaten bestehenden Produktionshalle in Izmir.

Beeindruckend zu sehen, wieviele manuelle Schritte nötig sind, um ein Kleidungsstück zu produzieren. Nach zwei Stunden verlassen wir die nach dem Glückshormon Serotonin benannte Firma. Tipps für unsere nächsten Ziele und einen eventuellen Besuch in Istanbul haben wir notiert. Demnächst schauen wir mal auf die Etiketten, bevor wir eine Klamotte kaufen. Bei ‚Made in Turkey‘ werden wir zugreifen.

Nach Izmir sind wir geradelt. Drittgrösste Stadt der Türkei nach Istanbul und Ankara. Geschätzte 4.5 Millionen Einwohner. Wir haben ein kleines Hotel in Balcova, im Südwesten der Stadt gefunden. Die Fahrt durch die Stadt bis zu unserem Ziel ist abenteuerlich. Das Routing nicht optimal und mehr als einmal fahren wir auf viel befahrenen 6-spurigen Schnellstrassen und sollen uns dann mit unseren Schlachtrössern links zum Abbiegen einordnen. Die Stadt ist hügelig wie unsere bisherige Reise, ein bisschen wie San Francisco. So sind wir froh, als wir unser Hotel erreichen.

8rooms Hotel, Zimmer mit Balkon. Die Räder stehen im kleinen Garten (8qm) mit Blick auf die Strasse.

Grad angekommen, buchen wir gleich noch eine zweite Nacht. Wenn wir schon mal so weit gekommen sind, nutzen wir das aus. Am nächsten Tag gibt es Izmir Besichtigung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Metro und Schiff und zu Fuss.

Uhrturm, eines der Wahrzeichen der Stadt. Auf dem Platz kann man Taubenfutter kaufen.
Izmir Kemaralti (BazarViertel)
Izmir Konak

Mit der Personenfähre fahren wir nach Bosnalti in den Westen Izmirs. Bosnalti ist eine schöne Überraschung, laut offizieller türkischer Tourismusseite das Juwel Izmirs. Es gibt Parks, hippe Cafés und viele junge Menschen, die das und den nahenden Sommer geniessen. So kundschaften wir schon mal die Weiterfahrt am nächsten Morgen aus.

Neben dem Inhaber der Textilfirma lernen wir diese Woche einen rennradelnden türkischen General a.D. kennen, der u.a. bei der Friedensmission in Bosnien gewirkt hat. Er stellt erstmal eine Videoschalte zu seiner Frau, ihrerseits Hochschul-Deutschlehrerin, her. Dazu den Holzkünstler Cem, der nebenher einen Campingplatz bei Foca führt, sowie Cem den Turkish Airlines Piloten, der ihm für uns als Übersetzer zur Verfügung steht. Und Resul, der im Tavuckücuk (=Hähnchenbraterei) arbeitet und zahlreiche Geschwister in Deutschland hat, sowie eine Bäckereiverkäuferin, die sich sehr freut, als wir das zweite Mal bei ihr frühstücken. Da sag mal einer, Grossstädte sind anonym. Izmir ist es nicht.

Cem, der Holzkünstler, erstellt Holztüren und anderes, alles Handarbeit und verkauft es international.

Schwein gehabt, ob Haus-oder Wild- ist egal. Beides wird in der Türkei nicht gegessen.

Dilek-Nationalpark: Auf der Suche nach dem anatolischen Leopard haben wir lediglich dieses Exemplar hier angetroffen.

Im Zentrum von Izmir startet der Eurovelo (EV) 8. Er verläuft am Mittelmeer und endet dann irgendwann in Faro in Portugal. Wir folgen ihm. Mal scheint er gut ausgeschildert, mal zeigen sich arge Lücken. Er führt uns im Norden von Izmir zum SOCAR Terminal in Izmir’s Aliaga District.
Diese Fahrt durch ein riesiges Gebiet von über 100 Hektar, in dem sich der Schwerlastverkehr drängt, dazu Krankenwagen, Polizei, Securitas und wir zwei auf den Fahrrädern. Nicht ohne Grund bekommen wir aus den Fahrerhäuschen einmal den Scheibenwischer. Das SOCAR Terminal, azerbaichanisches Eigentum, erhält Cargoschiffe von Fernost und ermöglicht den Handel von Petrochemie, Erdöl und Erdgas aus Azerbaichan ohne die Häfen der Pyrenäen, Malta und den Suez Kanal zu nutzem. Es ist der einzige Hafen in der Ägäis, der die direkte Verschiffung ermöglicht, zwanzig Millionen Tonnen von Produkten jedes Jahr.
Wir radeln quer durch, staubig, schlecht geteert, die Sonne brennt. Zum Schluss werden wir von der Securitas eskortiert, die uns an der Kreuzung zwei Flaschen Wasser aus dem Fenster reicht, bevor wir nur froh sind, dass wir diese Tortur überlebt haben. Tatsächlich gibt es keine wirkliche Alternative.

Socar Terminal

3 Kommentare

  1. Einfach wunderbar – geniesst die Landschaft – die freundlichen Menschen – es könnte so einfach sein👏💪👌♥️

  2. Gierig nach eurem neusten Reisebericht, warten wir gespannt auf Samstag ❤️Freuen uns mit euch, hört sich echt super toll an👍❣️ Nicole und Micha 💕

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